Die Gefahr von Mehrdeutigkeiten in der Technischen Dokumentation

Empfehlungen für Technische Redakteure zur Erstellung von Bedienungs- und Betriebsanleitungen

„Der Roboter wird alle Hindernisse um­fah­ren.“ Hoffentlich lesen Sie diesen Satz in einem Werbeprospekt, als Beschreibung der Manövrierfähigkeit des Roboters und nicht in den Warnhinweisen, um vor de­struk­ti­ver Fahrweise zu warnen. Dieser Satz de­mons­triert ein­dring­lich, wie leicht sich mehr­deu­ti­ge Formulierungen ein­schlei­chen und wie ge­fähr­lich es ist, sie zu über­se­hen. Lesen Sie hier, wo sich sprach­li­che Mehrdeutigkeiten ver­ste­cken, damit Sie diese leich­ter erkennen.

Was bedeutet Mehrdeutigkeit in Texten?

Ein Wort, eine Formulierung oder ein Bild sind mehr­deu­tig, wenn sie mehr als eine Bedeutung haben. Schon eine Vorsilbe kann Mehrdeutigkeit be­inhal­ten, wie das Wort „Untiefe“ plas­tisch vor Augen führt. Gefährliche Flachwasserstellen werden so be­zeich­net, doch dient es auch einer poe­ti­schen Beschreibung der un­er­mess­li­chen Tiefen des Ozeans.

Eine Technische Dokumentation sollte poe­ti­sche Sprache ver­mei­den, denn sie ver­folgt einen spe­zi­fi­schen Zweck: die Wissensvermittlung. Der Text muss daher frei blei­ben von Interpretationsspielräumen, die zu Missverständnissen und kost­spie­li­gen Fehlern führen.

Warum sind Mehrdeutigkeiten schwer zu entdecken?

Ob eine Bank ein Möbelstück oder ein Kreditinstitut ist, be­nö­tigt kaum ak­ti­ves Nachdenken. Mehrdeutigkeiten be­geg­nen uns im Alltag stän­dig, daher sind wir gut darin trai­niert, sie auf­zu­lö­sen, ohne groß über die da­hin­ter­ste­hen­den Bedeutungen nachzudenken.

Schwer ist das Erkennen von Mehrdeutigkeiten da­ge­gen für den Autor. Er ist mit dem Text in­ten­siv ver­traut und weiß genau, welche Inhalte er mit jedem Satz zu über­mit­teln sucht.

Das Aufspüren von Mehrdeutigkeiten er­for­dert daher be­son­de­re Achtsamkeit. Vorteilhaft sind jah­re­lan­ge Erfahrung und ein ge­üb­ter Umgang mit den Mehrdeutigkeiten der deut­schen Sprache. Unsere Empfehlungen helfen Ihnen, ge­fähr­li­che Stellen in einer Technischen Dokumentation zu er­ken­nen und durch ein­deu­ti­ge Formulierungen zu ersetzen.

Mehrdeutige Worte

Umgangssprachlich heißen sie Teekesselchen, in der Fachsprache sind es Homonyme: Worte, die mit dem glei­chen Schriftbild meh­re­re Bedeutungen be­sit­zen. Für das Wort „Schlag“ listet der Duden gar 15 von­ein­an­der un­ab­hän­gi­ge Bedeutungen.

Doch selbst Worte mit nur zwei Bedeutungen führen oft zu Verwechslungen. So be­zeich­net das Wort „Entscheidung“ bei­spiels­wei­se den Prozess der Entscheidungsfindung, wie auch dessen Ergebnis. Ein feiner, doch oft ent­schei­den­der Unterschied.

Unsere Empfehlung: Behalten Sie beim Schreiben und Korrekturlesen einer Technischen Dokumentation immer ein Augenmerk darauf, mehr­deu­ti­ge Worte durch ein­deu­ti­ge Begriffe zu ersetzen.

Zusammengesetzte Wörter

„Bauernopfer“ und „Jägerschnitzel“ sind ty­pi­sche Beispiele für erst auf den zwei­ten Blick er­kenn­ba­re Mehrdeutigkeit von ge­bräuch­li­chen deut­schen Wörtern. Doch auch in der Technische Dokumentation ist davon nie­mand frei.

Sollen zwei Bauteile mit einer „Holzschraube“ ver­bun­den werden, kann es sich um eine Schraube für Holz oder aus Holz han­deln. Das Wort „Fenstersturz“ mag sowohl eine Maueröffnung, wie eine Unfallart beschreiben.

Unsere Empfehlung: Die Technische Dokumentation ist reich an zu­sam­men­ge­setz­ten Worten, von der Anschalttaste bis zum Zentrierständer. Überprüfen Sie ins­be­son­de­re bei Begriffen aus der fir­men­in­ter­nen Sprache, ob ein un­be­darf­ter Leser sie falsch in­ter­pre­tie­ren könnte.

Mehrdeutiger Satzbau

Neben der Mehrdeutigkeit ein­zel­ner Worte ste­cken auch im Satzbau viele Fallstricke. Mit dem Nominalstil werden Mehrdeutigkeiten be­güns­tigt, denn durch die Vermeidung von Verben bleibt der Handelnde oft unklar: „Die Messung zeigt eine Dauer von 10 Minuten.“ Hier ist offen, ob der Maschinenbediener die Messung vor­nimmt oder nur einen Wert von der Maschine abliest.

Auch Verknappungen führen oft un­ge­wollt zu Mehrdeutigkeiten. Gut de­mons­triert wird dieser Typ der Mehrdeutigkeit durch eine Stilblüte auf einem Informationsschild am Bahnhofsvorplatz in Limburg: „Dieser Bereich wird zur Verhütung von Straftaten durch die Polizei vi­deo­über­wacht.“ Werden hier Straftaten der Allgemeinheit oder der Polizei verhütet?

Unsere Empfehlung: Halten Sie sich strikt an die gol­de­ne Regel der Technischen Dokumentation: Nur eine Aussage pro Satz. Schon diese eine Regel hilft, Mehrdeutigkeiten im Satzbau be­reits im Ansatz zu vermeiden.

Mehrdeutige Attribute

Beifügungen brin­gen oft Klarheit in einen Satz, denn sie dienen der nä­he­ren Bestimmung von Satzteilen. Manchmal ge­lingt das jedoch nicht, wie er­hofft. „Beschichtete Halbleiterkomponenten und Wafer dürfen nicht ge­sta­pelt werden.“ Besagt dieser Satz, dass Wafer ge­ne­rell nicht ge­sta­pelt werden dürfen, oder gilt das Verbot nur dann, wenn sie be­schich­tet sind?

Schon die Umstellung der Aufzählung bringt Klarheit in die Technische Dokumentation: „Wafer und be­schich­te­te Halbleiterkomponenten dürfen nicht ge­sta­pelt werden.“ Im um­ge­kehr­ten Fall hilft die Wiederholung des Attributes: „Beschichtete Halbleiterkomponenten und be­schich­te­te Wafer dürfen nicht ge­sta­pelt werden.“

Unsere Empfehlung: Achten Sie darauf, dass Beifügungen immer nur einem Objekt zu­ge­ord­net werden können. Oft reicht es schon, den Satz neu zu ordnen.

Mehrdeutige Präpositionen

Präpositionen dienen der ört­li­chen, zeit­li­chen oder kau­sa­len Beschreibung von Dingen. Nicht immer ge­lingt das ein­deu­tig. Der Satz „Niete neben der Schiene ein­schla­gen.“ mag in einer Technischen Dokumentation ein Werkstück be­schrei­ben, das eine Führungsschiene be­sitzt oder eine Maschine, die sich auf einer Schiene bewegt. „Die Niete neben der Führungsschiene auf dem Werkstück ein­schla­gen.“ hilft diese Mehrdeutigkeit aufzulösen.

Doch zeigt der Beispielsatz noch einen an­de­ren, ziel­grup­pen­ab­hän­gi­gen Aspekt der deut­schen Sprache. Je nach Ausrichtung der Technischen Dokumentation an Fachleute oder Verbraucher ist mit „Niete“ eine ein­zel­ne Nietverbindung oder gleich meh­re­re ge­meint. Im Fachgebrauch ist „Niet“ der Singular und „Niete“ der Plural.

Bei dem Wort Bolzen sind der Singular und Plural gar iden­tisch. Zur Vermeidung von Verwechslungen ist es nütz­lich, die Anzahl „ein Bolzen“ oder „alle Bolzen“ immer mit zu nennen.

Unsere Empfehlung: Fügen Sie grund­sätz­lich die er­for­der­li­che Anzahl hinzu. Stellen Sie sicher, dass ört­li­che, zeit­li­che oder kau­sa­le Bestimmungen auch dann ein­deu­tig sind, wenn der Leser das Werkstück nicht vor Augen hat.

Unpräzise Sprache

Ungenaue Formulierungen er­lau­ben eine Vielzahl an Interpretationen, auch wenn sie nicht im lin­gu­is­ti­schen Sinne mehr­deu­tig sind. Worten wie „oft“ oder „selten“ sind rasch als vage zu er­ken­nen. Doch auch ein so harm­los klin­gen­des Wort wie „re­gel­mä­ßig“ ist un­de­fi­niert, wenn es ohne Ergänzung bleibt. Ist mit „re­gel­mä­ßig“ einmal pro Sekunde, Stunde oder Monat gemeint?

Unsere Empfehlung: Vage Formulierungen schlei­chen sich oft un­be­merkt ein. Merken Sie sich jedes ent­deck­te Vorkommen in einer Liste „ge­fähr­li­cher“ Wörter und teilen Sie diese mit dem Autor.

Vermeidung von Mehrdeutigkeiten

Ungewollte Mehrdeutigkeiten schlei­chen sich immer wieder in eine Technische Dokumentation. Möglicherweise hilft eine vage Formulierung dem Autor über eine Stelle hinweg, an der er selbst un­si­cher ist. Oder er über­sieht eine Nebenbedeutung, weil er zu in­ten­siv mit dem Stoff ver­traut ist. Oft reicht ein zwei­tes Paar Augen, um über­se­he­ne Mehrdeutigkeiten zu finden.

Die Korrektur einer Technischen Dokumentation be­nö­tigt viel Sorgfalt. Wer ver­sucht, mög­li­che Mehrdeutigkeiten, Rechtschreibfehler und in­halt­li­che Fehler wäh­rend des Schreibens auf­zu­spü­ren, wird viel über­se­hen. Nützlicher ist es, meh­re­re Durchläufe ein­zu­pla­nen und dabei ge­zielt auf ein­zel­ne Aspekte zu achten. Zum Aufspüren von Mehrdeutigkeiten dürfen Sie gern diesen Artikel als „Spickzettel“ einsetzen.

Wieder ist ein Jahr vorbei und Zeit, um Danke zu sagen – für Ihre Treue, Ihr Vertrauen und die angenehme Zusammenarbeit.

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie harmonische Festtage, die Zeit für ein geruhsames Innehalten und ein bisschen Geborgenheit, sowie schöne Momente und Zeit für Ihre Familie und Freunde.

Kommen Sie gut in ein friedliches, gesundes und perspektivreiches neues Jahr 2024.


Thomas Kellmann und das Team von unique

 

In diesem Jahr unterstützen wir die Jugendfarm Arche Noah Meerbusch e.V. mit einer Spende und sehen von Weihnachtspräsenten weitgehend ab.